23. August 2022
Stellungnahme der Gewerkschaft der Sozialversicherung (GdS) zum Referentenentwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes
Vorbemerkung
Der Entwurf für ein Bürgergeld-Gesetz stellt das zwölfte Änderungsgesetz zum SGB II und SGB XII seit dem 1. Januar 2005 dar. An keinem anderen Sozialgesetzbuch ist in so kurzer Zeit so viel geändert worden. Die Beschäftigten in den Jobcentern müssen daher im Zuge der Änderungen mitgenommen werden. Es braucht Schulungen zur konkreten Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben, damit die Beschäftigten diese erfüllen und gewissermaßen auch „leben“ können.
Dies ist der Tatsache geschuldet, dass der ursprüngliche Ansatz der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Ansatz des neuen Bürgergeldes sehr unterschiedlich sind. Während es ab 2005 um gezieltes Einwirken auf Leistungsberechtigte durch
Sanktionen mit einem geradezu „erzieherischen“ Charakter ging, wich dieser Ansatz Schritt für Schritt der Unterstützung durch Dienstleistungen (mit Sanktionen im Ausnahmefall). Die Jobcenter etablierten sich so immer stärker als Dienstleister in sozialen Problemlagen. Allerdings spiegelte sich dieser Wandel nicht unbedingt in der öffentlichen Meinung wider.
Der Gesetzgeber erkennt aus unserer Sicht die Zeichen der Zeit, die nicht geprägt ist von galoppierender Arbeitslosigkeit, sondern von demografischem Wandel und Fachkräftemangel. Die Aus- und Weiterbildung steht somit im Zentrum des Bürgergeldes. Damit geht auch eine weniger fordernde und stärker fördernde Ansprache an Leistungsberechtigte einher.
Insofern sind die Ansprüche des Gesetzgebers an das Bürgergeld-Gesetz – mehr
Respekt, mehr Vertrauen und ein Umgang auf Augenhöhe – zu begrüßen. Auch die Ziele des Bürokratieabbaus und mehr soziale Sicherheit in einer modernen Arbeitswelt sind erstrebenswert.
Den Erhalt der Sanktionen einschließlich Leistungsminderungen in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 5. November 2019 bei Meldeversäumnissen begrüßen wir dennoch. Termine wahrzunehmen oder fristgemäß abzusagen bzw. zu verlegen, gebietet der Respekt vor den Beschäftigten in den Jobcentern. Ein praktisch bedingungsloses Grundeinkommen ohne jegliche Sanktionsmöglichkeiten lehnen wir ab.
Abschließend: Die Zahl der Leistungsberechtigten im SGB II wird sich durch eine
Ausweitung von finanziellen Freigrenzen sowie durch Flucht und Migration in die Bundesrepublik vermutlich in den kommenden Monaten und Jahren erhöhen. Entsprechend sind die Jobcenter dringend mit ausreichend gut geschultem Personal auszustatten. Gerade im Hinblick auf den kurzen Zeithorizont bis zur Einführung des Bürgergeldes und weitere zu erwartende gesetzgeberische Tätigkeiten – Stichwort „Kindergrundsicherung“ – ist ein funktionierendes Change-Management essentiell.
Zu den Regelungen im Einzelnen
Artikel 1 Nr. 8:
Wir begrüßen den neuen § 7b SGB II grundsätzlich. Jedoch werden zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, die weder die Leistungsberechtigten noch die Beschäftigten in den Jobcentern verstehen können. Wie groß ist der „nähere Bereich“? Wie lang ist die „angemessene Zeitspanne“? Ist erkrankten Leistungsberechtigten eine Ortsabwesenheit automatisch zu bewilligen? Die angekündigte Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales muss diese Fragen sehr zeitnah klären, wenn das Bürgergeld bereits ab dem 1. Januar 2023 in Kraft treten soll.
Artikel 1 Nr. 13:
Als sehr sinnvoll erachten wir, dass die Pflicht zur Inanspruchnahme einer Altersrente vor dem Erreichen der Altersgrenze vollständig abgeschafft wird (§ 12a Nummer 1 SGB II). Natürlich stellen Leistungen des SGB II nur eine Grundsicherung dar, welche nachrangig zu anderen Sozialleistungen genutzt werden soll. Auf der anderen Seite steigen das Renteneintrittsalter und die Nachfrage an Arbeitskräften, so dass auch die Gruppe älterer Arbeitnehmer für den Arbeitsmarkt immer wichtiger wird und ein „Abschieben“ in die Rente vermieden werden muss.
Artikel 1 Nr. 16 und 17:
Der rechtsunverbindliche Kooperationsplan gemäß §§ 15, 15a und 15b SGB II ersetzt die bisherige Praxis der rechtsverbindlichen Eingliederungsvereinbarung. Wie in der Gesetzesbegründung richtig dargestellt, führte die bisherige Rechtspraxis der Eingliederungsvereinbarung zu Unzufriedenheit und Überforderung. Das neue Mittel eines gemeinsam erarbeiteten „roten Fadens“ zur Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit begrüßen wir daher.
Allerdings stellen wir uns das in § 15b SGB II neu eingeführte Schlichtungsverfahren in der Praxis schwierig vor. Ein Schlichtungsverfahren soll gemäß § 15 Abs. 1 SGB II dann eingeleitet werden, wenn „die Erstellung, die Durchführung oder die Fortschreibung eines Kooperationsplans aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zwischen Agentur für Arbeit oder kommunalem Träger und leistungsberechtigter Person nicht möglich“ ist. Das Schlichtungsverfahren selbst ist im Gesetzestext allerdings kaum bestimmt. Es soll „eine bisher unbeteiligte Person innerhalb oder außerhalb der Dienststelle“ zur Schlichtung hinzugezogen werden. Hier befürchten wir aufgrund der Unbestimmtheit der Regelungen bereits Konfliktpotenzial über die Hinzuziehung der schlichtenden Person und wünschen uns konkretere gesetzliche Vorgaben.
Dringend vermieden werden sollte, dass begriffliche Unschärfen und unbestimmte Rechtsbegriffe dazu führen, dass die Sozialgerichte wieder mit einer Verfahrensflut konfrontiert werden. Deshalb benötigen wir für Leistungsberechtigte einerseits und Anwender in der Verwaltung andererseits eindeutige Konkretisierungen.
Artikel 1 Nr. 22:
Die Einführung eines Bürgergeldbonus für die Teilnahme an Maßnahmen zur nachhaltigen Eingliederung in den Arbeitsmarkt begrüßen wir. Statt mit Sanktionen zu drohen, sollen finanzielle Anreize durch Prämien gesetzt werden. Auch die Verlängerung der Dauer einer Vollzeitmaßnahme von zwei auf drei Jahre Umschulung gemäß § 180 Abs. 4 SGB III ist in der Praxis relevant und richtig.
Anstatt das Coaching (ganzheitliche Betreuung) gemäß § 16k SGB II von außen einzukaufen, sollten aus unserer Sicht die Integrationsfachkräfte der Jobcenter allein dafür vorgesehen sein und die Ansätze der einzelnen Dienststellen in diese Richtung gestärkt werden. Im Umkehrschluss werden dann zwar mehr Integrationsfachkräfte benötigt, es entfallen aber die Kosten für externe Coaching-Kräfte.
Artikel 1 Nr. 33:
§ 31a SGB II begrüßen wir in der Praxis – jedoch sollte der nach § 20 SGB II neu errechnete Regelbedarf auch ausreichend sein, um eine gerichtsfeste Umsetzung einer Sanktion von 30 Prozent zu ermöglichen.
§ 31a Abs. 2 SGB II bitten wir zu streichen. Eine Anhörung gemäß § 24 SGB X kann schon immer persönlich in der Dienststelle erfolgen und insbesondere Satz 2 stellt sich schwierig dar: Wie soll eine mündliche Anhörung erfolgen, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte sich hartnäckig weigert zu erscheinen?
Artikel 1 Nr. 37:
Die Änderung des § 40 SGB II begrüßen wir, jedoch sollte die Bagatellgrenze aus unserer Sicht nicht bei 50 Euro, sondern bei 100 Euro liegen. Der verwaltungstechnische Aufwand unterhalb dieses Betrages ist für uns nicht angemessen.